"Wimpernschläge der Zeitgeschichte"

Nürnberg - So schmerzhaft das UEFA-Cup-Aus auch war, das Wichtigste ist und bleibt die Bundesliga. Drei Tage nach dem bitteren Rückspiel gegen Benfica Lissabon (2:2) am Donnerstag hat der 1. FC Nürnberg die neue Chance auf ein Erfolgserlebnis. Beim Heimspiel am Sonntag (17.00 Uhr) gegen Energie Cottbus zählt nur ein Sieg. Jetzt gilt's - neue Aufgaben helfen bei der Bewältigung von solch tiefen Enttäuschungen häufig am besten. Mit neuer Kraft und absoluter Konzentration geht der Kampf um den Klassenerhalt weiter.

So sieht es auch Thomas von Heesen. "Das gestrige Spiel ist Geschichte für uns. Die guten Dinge nehmen wir mit. Über 90 Minuten haben wir es klasse gemacht. Wir konzentrieren uns jetzt voll auf die Bundesliga und werden uns Woche für Woche konzentriert vorbereiten", erklärte der Club-Trainer bei der Pressekonferenz am Freitagmittag (22.02.08). "Der Weg, den wir gehen, ist der absolut richtige. Wir haben die hart erarbeiteten Dinge umgesetzt. Wenige haben ernsthaft geglaubt, dass wir bis kurz vor Schluss 2:0 gegen Benfica in Führung liegen würden." Und weiter: "Meine Mannschaft war da, war präsent. Die Art und Weise des Auftritts hat den Spielern den Glauben an sich selbst zurück gegeben. Aber natürlich gibt es noch Dinge, die wir verbessern müssen."

"Wir sind Jäger, nicht Gejagter"

Von Heesen zieht aus der bitteren Pleite auf europäischer Bühne vor allem positive Schlüsse. "Die Jungs ziehen gut mit und nehmen das an, was wir ihnen sagen. Natürlich ist das Gegentor in der 89. Minute bitter, aber wir haken das jetzt schnell ab: wegstecken, weiter geht's!", betont von Heesen, der solche Spiele und solche Ergebnisse als "Wimpernschläge der Zeitgeschichte" betrachtet. Man könne diese Erfahrung nicht ändern und müsse das "als gegeben hinnehmen. Man denkt zwangsläufig an das Champions-League-Endspiel der Bayern gegen Manchester 1999. Genauso schwer zu trauern, wäre laut Cluberer Marco Engelhardt jedoch das Verkehrteste. Der Blick seiner Mannschaft sollte sich zurück zur Gegenwart - und damit nach vorne richten. Darüber herrscht im Verein Einigkeit. "Wir wollen im Training weiterkommen. Wir haben einen weiten und harten Weg vor uns", so von Heesen. "Die Ausrichtung ist klar: Wir sind Jäger nicht Gejagter, denn wir haben keinen Punktevorsprung zu verteidigen."

Bei dieser Jagd auf Punkte, um das rettende Ufer in der Tabelle zu erreichen, sind die vielen angeschlagenen oder verletzten Spieler natürlich alles andere als hilfreich. Mittelfeldmotor Peer Kluge soll trotz eines gebrochenen Zehs gegen die Lausitzer wieder mitwirken. "Peer hat heute mittrainiert, und ich hoffe, dass bis Sonntag nichts mehr passiert und er spielen wird", sagt von Heesen, der seinen Akteuren nach den beiden Englischen Wochen auch Erholungsphasen zugesteht: "Einige Spieler haben nach der gestrigen Partie einige muskuläre Wehwehchen, die wir bis Sonntag hoffentlich beheben können." Regeneration, Vitamine und viel Trinken seien jetzt wichtig. Neben dem Gelb-Rot-gesperrten Ivan Saenko, "Zwetschge" Misimovic (Bänderriss), Marek Mintal (Innenbanddehnung) und Leon Benko (Knie) muss der Club-Coach weiterhin auf den Rekonvaleszenten Robert Vittek verzichten. "Robert wird mindestens für eine Woche ausfallen. Er liegt mit 39,5 Grad Fieber im Bett. Es ist klar, dass der Körper erst einmal runterfährt", erklärt von Heesen. "Das ist natürlich sehr schade, aber auch eine Sache, die wir wegstecken müssen."

Initiative, Druck und Geduld

Gegen die punktgleichen Cottbuser sollen seine Schützlinge die Initiative übernehmen und den Gegner nicht ins Spiel kommen lassen. Von Heesen: "Energie ist unangenehm zu spielen, eine kompakte und robuste Mannschaft, die defensiv stark steht und daraus kontert. Wir müssen Geduld haben und unser Ziel, aggressives Forechecking zu spielen, umsetzen. Wir dürfen die Cottbuser nicht in Ruhe schalten und walten lassen." Energie Cottbus hat wie der Club in der Rückrunde noch keinen Sieg feiern dürfen und musste sich 2008 mit nur einem Zähler begnügen. Der letzte Sieg der Lausitzer, ein überraschendes 5:1 über Hannover 96, stammt von ihrem Hinrundenabschluss am 14. Dezember. Neben Stürmer Dimitar Rangelow (Rückenbeschwerden) muss Trainer Bojan Prasnikar noch auf den weiter gesperrten Vragel da Silva, Defensivakteur Mariusz Kukielka (Leistenprobleme) und den grippekranken Stürmer Stiven Rivic verzichten.

"Der Druck ist enorm, aber er lastet in erster Linie auf Nürnberg. Ich rechne aus diesem Grund mit einem Club, der von Beginn an volles Rohr auf Angriff spielen wird", sagt Energie-Kapitän Timo Rost im Interview mit fcn.de. Brisanz am Rande des Spieltags: Am Samstag treffen mit Arminia Bielefeld und dem MSV Duisburg die beiden übrigen Kellerkinder aus dem Quartett der letztplatzierten Teams aufeinander. Rost: "Dieser Spieltag ist sehr wichtig. Genau das könnten die Zähler sein, die am Ende den Ausschlag geben."

Hört hier den Beitrag von Mathias Zeck vom Club-Medienpartner Radio Gong 97.1 mit Thomas von Heesen.

Timo Rost: "Der Druck ist enorm"

Neun Zweitliga-Spiele für den Club und Energie-Kapitän: Timo Rost

Nürnberg - Timo Rost ist waschechter Franke, hat die Jugendmannschaften des 1.FCN durchlaufen und im Alter von 19 Jahren auch sein Profi-Debüt für den Club in der zweiten Liga gegeben. Danach zog es den kampfstarken Mittelfeldspieler über den VfB Stuttgart und Austria Wien zum FC Energie Cottbus, für den der gebürtige Happurger inzwischen seine siebte Saison absolviert.

Anlässlich des Kellerkrimis zwischen den Franken und Lausitzern am Sonntag (24.02.08), 17.00 Uhr, im easyCredit-Stadion kehrt der Energie-Kapitän nun in seine Heimat zurück - fcn.de bat Timo Rost zum Interview.


fcn.de: Timo Rost, gegen Dortmund gab's am Samstag ein 0:2. Bundeskanzlerin Merkel hat Ihrem Team scheinbar kein Glück gebracht - oder lag es nicht daran?

Timo Rost: Dass Frau Merkel im Stadion dabei war, war sicherlich ein schöner Nebeneffekt. Es ist natürlich auch toll, dass sie Ehrenmitglied von Energie ist. Aber das hat überhaupt nichts mit unserer Leistung im Dortmund-Spiel zu tun. Da ist wirklich so einiges bei uns in die Hose gegangen. Danach hatten wir eine heftige Aussprache - alle sollten nun begriffen haben, wie ernst die Lage ist und dass wir uns den Hintern aufreißen müssen.

Am kommenden Spieltag kommt es zum Showdown: Nürnberg spielt gegen Cottbus, Bielefeld am Tag zuvor gegen Duisburg. Könnte da schon eine Vorentscheidung im Kampf um den Klassenerhalt fallen?

Rost: Sicherlich sind danach noch einige Runden zu absolvieren, aber Sie haben schon recht: Dieser 21. Spieltag ist sehr, sehr wichtig! Alle vier haben die Chance, unmittelbar gegeneinander zu punkten. Und genau das könnten die Zähler sein, die am Ende im direkten Vergleich den Ausschlag geben.

Das unglückliche Aus des Club nach tollem Spiel gegen Benfica - was glauben Sie, Timo: Wird das den Nürnbergern einen Schub für Sonntag geben, oder wird der Frust überwiegen?

Rost: Ich bin ja Franke und nur etwa 30 Kilometer entfernt von Nürnberg geboren, meine Eltern und Verwandten sowie viele Freunde leben dort. Deshalb schlägt mein Herz natürlich auch immer noch für den Club. Die Mannschaft hat gegen Lissabon eine tolle Leistung geboten und hätte das Weiterkommen verdient gehabt. Doch wenn man am Ende ausscheidet, kann man sich dafür leider nichts kaufen. Dieses Gefühl, wieder mal mit leeren Händen dazustehen, wird mit Blick auf Sonntag also nicht unbedingt einen positiven Impuls gegeben haben.

Die bisherigen Duelle zwischen dem Club und Energie waren immer sehr eng, die Bilanz ist ausgeglichen. Was erwarten Sie für eine Partie im easyCredit-Stadion?

Rost: Der Druck ist enorm, aber er lastet in erster Linie auf dem Club. Die Nürnberger sind Gastgeber und sind überraschend mit in den Abstiegskampf gerutscht. Wenn es da gegen uns keine drei Punkte gibt, wäre das im Frankenland schon eine kleine Katastrophe. Ich rechne aus diesem Grund mit Nürnbergern, die von Beginn an volles Rohr auf Angriff spielen werden. Wir werden eine erheblich konzentriertere Leistung als zuletzt gegen Dortmund zeigen müssen, damit wir endlich den ersten Auswärtssieg in dieser Saison holen.

In Cottbus hat man den Trainer ausgetauscht, beim Club vor kurzem auch. Von Ihrer Warte aus: Kann so ein Wechsel Kräfte freisetzen?

Rost: Klar - insbesondere dann, wenn wie bei uns im letzten Sommer und jetzt auch in der Winterpause so viele neue Spieler dazugestoßen sind. Da ist die Integration immer wieder eine große Herausforderung, zumal im Bundesliga-Alltag nicht gleich alle auf dem Platz zum Zuge kommen können. Da bietet ein Trainerwechsel jedem die Chance, sich erneut zu profilieren, das wiederum entfacht den Konkurrenzkampf. Also ein positives Signal.

Sollte Energie nach dem 34. Spieltag über dem Strich stehen: Wird die Party dann noch größer ausfallen als vor einem Jahr?

Rost: Wie schon gesagt - bei uns ist so vieles passiert. Viele neue Spieler mussten integriert werden, dann kam ein neuer Coach und im Winter noch einmal eine Hand voll neuer Profis. Insgesamt also einige Probleme, die uns den Neuaufbau in dieser Spielzeit erschwert haben. Und nicht jeden Sommer schüttelt man Granaten wie Radu oder Munteanu aus dem Ärmel, die sofort einschlagen. Angesichts der Tatsache, dass das der größte personelle Umbruch in meiner Cottbuser Zeit ist, wird es im Falle des Klassenerhalts sicherlich eine viel größere Feier als vor einem Jahr geben!

Sie spielen Ihre fünfte Bundesliga-Saison. Eine haben Sie bislang für Stuttgart und vier für Cottbus absolviert. Gegen Dortmund am vergangenen Wochenende bestritten Sie Ihre 100. Bundesliga-Partie und standen zudem im Verlaufe dieser Spielzeit jedes Mal in der Startelf. Wollen Sie sich beruflich trotzdem noch einmal verändern?

Rost: Der Stellenwert, den ich hier habe, ist riesig, und als Kapitän stehe ich auch in der Verantwortung. Der besondere Spaß und Reiz in Cottbus liegt einfach darin begründet, bei einem kleinen Verein etwas mitaufbauen und bewirken zu können statt bei einem großen Team nur mitzulaufen. Ob neue Tribüne oder Mannschaftsbus, die Infrastruktur in Cottbus ist gewachsen. Ich konzentriere mich jedenfalls voll auf Energie und gebe alles für den Verein. Andererseits weiß ich auch, dass der Profifußball ein schnelllebiges Geschäft ist.

Sie haben die drei Cottbuser Bundesliga-Trainer erlebt: Geyer, Sander und Prasnikar, die alle als "harte Hunde" gelten. Wer ist der größere Schleifer?

Rost: Alle drei sind Trainer der alten Schule, die hart arbeiten lassen. Und alle sind Disziplin-Fanatiker. Da gibt es nur spezifische Unterschiede - und insofern würde ich Ede Geyer eher als Schleifer, Prasnikar als Taktikfuchs und Sander als akribischen Arbeiter bezeichnen.

Beim Club haben Sie 1997 Ihr Profidebüt gefeiert. Haben Sie noch Kontakte zum Verein?

Rost: Ja - und das kurioserweise gegen Cottbus im Stadion der Freundschaft, als ich kurz vor Schluss von Felix Magath eingewechselt worden bin! Ansonsten gibt es zum 1.FCN keine Kontakte mehr, ich habe ja auch mit keinem Spieler aus dem aktuellen Kader mehr zusammengespielt. Verbindungen gibt's aber natürlich noch zu Zeugwart Chico Voigt. Außerdem werden am Sonntag über 30 Verwandte und Freunde von mir auf der Tribüne sitzen.

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