Fans Mittwoch, 18.05.2022

Nach massiver sexueller Belästigung: „Wichtig, dass sowas an die Öffentlichkeit gebracht wird“

Foto: Sportfoto Zink

Kaputter Rasen nach dem Platzsturm, entwendete Werbebanden oder gar die 1:2-Heimniederlage – alles belanglos im Vergleich zu dem Schicksal, das ein Club-Fan beim letzten Saisonspiel erleiden musste. fcn.de sprach mit Cosima (20), die während des Platzsturms massiv sexuell belästigt wurde und den Mut fand, damit an die Öffentlichkeit zu gehen. Alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beim 1. FCN, die Vorstände, kurz: den ganzen Verein hat der Fall sehr bewegt.

fcn.de: Hallo Cosima, zunächst erst einmal die Frage: Wie geht es dir denn heute nach den Vorfällen bei unserem Heimspiel am letzten Sonntag?

Cosima: Auf jeden Fall geht es mir schon besser. Es ist aber alles noch immer nicht ganz realisierbar und auch ein bisschen surreal. Man hat diese Erinnerungen an den Vorfall, realisiert jedoch nicht richtig, dass es wirklich passiert ist. In den letzten Tagen ist so viel vorgefallen, dass es sich bereits nicht mehr so nah anfühlt. Inzwischen habe ich mich beruhigt. Natürlich ist dieser Vorfall, immer wenn ich daran denke, einfach nur widerlich. Aber dadurch, dass es gleichzeitig so viel Unterstützung gegeben hat, hat mich das im Gegenzug auch wieder aufgebaut.

fcn.de: Nicht jeder hat den Vorfall am Sonntag mitbekommen. Würdest du uns die Geschehnisse noch einmal schildern, sofern das für dich in Ordnung ist?

Cosima: Ja. Ich war zusammen mit drei Freunden beim Spiel. Nach Spielende sind wir dann auch nach einer gewissen Zeit auf den Platz. Im unübersichtlichen Getümmel habe ich meine Freunde verloren und mich kurzerhand entschlossen, zur Übergabe der Meisterschale vor der Haupttribüne zu gehen. Irgendwann war ich mitten in der großen Menschenmenge. Es war natürlich sehr eng und plötzlich habe ich von hinten eine Hand an meinem Po gespürt und mir im ersten Moment noch nicht so viel dabei gedacht und vermutet, dass das vielleicht auch im Gedränge eine unabsichtliche Berührung war. Dann wurde der Griff jedoch noch einmal fester und ich habe versucht, ein bisschen nach vorne zu gehen, um auszuweichen. Das war jedoch nur bedingt möglich. Kurz darauf habe ich wieder eine Hand von hinten gespürt, die dann auch noch in meinen Schritt gegriffen hat. In diesem Moment hatte ich keine Möglichkeit, auszuweichen. Für mich war es vollkommen befremdlich, plötzlich eine Hand zu spüren, ohne eine Ausweichmöglichkeit zu haben und nicht zu wissen, wer hinter einem steht oder die Person zu sehen, die mit der Hand sogar noch mehrmals an meinem Körper auf und ab gefahren ist. Schließlich habe ich es bis ganz nach vorn geschafft, wohin mir der Täter nochmals gefolgt ist, an meine Hüften gefasst hat, mein Trikot aus der Hose rausgezogen und unter dem Trikot meinen Oberkörper angefasst hat. Ich war mit der gesamten Situation überfordert, geschockt und war nicht in der Lage, mich vehement zu wehren.

fcn.de: Hast du dich daraufhin umgedreht?

Cosima: Erstmal noch nicht. Ein Stadionordner kam mir relativ schnell zu Hilfe, ebenso ein weiterer Mann in meiner Nähe.  Er tauschte mit mir Plätze, um sich zwischen mich und den übergriffigen Mann zu stellen. Dann habe ich einem Freund geschrieben, der in der FCN-Pressestelle arbeitet. Er fragte mich direkt, ob ich wüsste, wer die übergriffige Person sei und ob ich ein Foto von ihm machen könne. In diesem Moment bin ich inmitten des emotionalen Stresses zum ersten Mal darauf gekommen, dass ich ihn ausfindig machen muss. Ich habe mich daraufhin umgedreht, in die Menschenmenge geschaut und gefragt, ob jemand diese Person kennt. Ich wusste leider zunächst auch nicht, welche Person das genau ist. Deshalb habe ich in die Menschenmenge fotografiert und den mir zu Hilfe gekommenen Mann sowie den Stadionordner gefragt, ob sie den gesuchten Mann identifizieren können, wozu sie zum Glück auch in der Lage waren. Der von uns gesuchte Mann war jedoch nach kurzer Zeit nicht mehr in unserer Nähe, da er womöglich gemerkt hatte, dass er beobachtet wird. Der Freund kam mir nach kurzer Zeit zu Hilfe und brachte mich raus aus der Menge in die Mixed Zone und von da direkt zur Stadionwache. Dort konnte ich mich dann beruhigen und habe erst so richtig realisiert, was gerade passiert war. Und auf der Stadionwache konnte ich den Vorfall auch gleich zur Anzeige bringen. Grundsätzlich bin ich allen, die mir zu Hilfe kamen, sehr dankbar.

fcn.de: Wann und warum hast du dich entschieden, den Vorfall öffentlich zu machen.

Cosima: Ich habe mich am Tag danach, als ich alles noch ein bisschen besser verarbeitet hatte, dazu entschieden. Nachdem ich bei der Polizei gewesen war, hatte ein Freund von mir auf dem Heimweg noch einmal mit mir darüber geredet und angemerkt, dass sexuelle Übergriffe gegenüber Frauen sehr häufig passieren und leider kaum an die Öffentlichkeit geraten bzw. zur Anzeige gebracht werden. Oftmals fehlt nach einem solch schockierenden Erlebnis auch der Mut, damit an die Öffentlichkeit zu gehen. Das war letztlich meine Motivation, das auch auf Twitter zu teilen. Ich hätte nie gedacht, dass der Tweet derartig viel Aufmerksamkeit auf sich ziehen würde. Mir wurde viel Respekt ausgesprochen, was mir auch noch einmal zeigte, dass es anderen Menschen so viel bedeuten kann, wenn jemand einen solchen Vorfall sexueller Übergriffigkeit öffentlich macht. Negative Kommentare gibt es im Netz natürlich fast immer. Das Positive, das dadurch jedoch entstanden ist, überwiegt aus meiner Sicht aber vollkommen. Alle die mich kennen, wissen, dass es passiert ist, dass es keine Fake-Story von mir ist, um Aufmerksamkeit zu bekommen, es waren Zeugen dabei, es gibt ein Foto davon und deshalb lasse ich mich von negativen Reaktionen auch nicht unterkriegen.

fcn.de: Es gibt auch keinen Grund, weshalb du dich dafür rechtfertigen müsstest. Haben dir Frauen denn im Zuge deiner Veröffentlichung ähnliche Situationen geschildert, denn derartige Fälle kamen ja bisher noch nicht an die Öffentlichkeit.

Cosima: Ja. Zwei Frauen haben jeweils von einer ähnlichen Erfahrung berichtet. Beide hatten die Vorfälle niemandem erzählt und beide hatten leider auch nicht wie ich direkte Unterstützung von anderen Menschen in der Nähe erhalten. Mir hat es viel bedeutet, dass andere Menschen sich an mich gewendet haben und dadurch den Mut fassen konnten, so etwas zu schreiben und jemand anderem zu erzählen.

fcn.de: Du bist jetzt im ständigen Austausch mit der Polizei. Der Täter ist bislang leider noch nicht gefasst, oder?

Cosima: Nein, noch nicht. Die Polizei ist durch das qualitativ recht gute Bild jedoch zuversichtlich, den Täter ausfindig zu machen. Die Suche dauert im Moment noch an.

fcn.de: Mit welchem Gefühl wirst du zum nächsten Heimspiel gehen.

Cosima: Das ist eine gute Frage, über die ich mir selbst nach alledem noch nicht viele Gedanken gemacht habe. Grundsätzlich werde ich natürlich auch weiterhin zu den Heimspielen des FCN gehen. Ich glaube aber, dass ich schon ein mulmiges Gefühl haben werde, wenn ich von der Tribüne auf den Rasen, insbesondere an die Stelle blicke, an der es passiert ist. Ich würde mich mit dem heutigen Wissen auch kein zweites Mal bei einem Platzsturm ohne meine Freunde in eine Menschenmenge begeben, aber ich glaube durchaus, dass ich in Zukunft bei vergleichbaren Situationen bedachter sein und stärker aufpassen werde. Gleichzeitig will ich mir das Stadionerlebnis dadurch jedoch nicht verderben lassen und trotzdem versuchen, in Ruhe ein Spiel zu schauen und Spaß daran zu finden.

fcn.de: Niels Rossow, unser Kaufmännischer Vorstand, war eben auch hier und hat dir versichert, dass wir, dass der 1. FC Nürnberg, fest an deiner Seite steht. Was würdest du dir von uns als Verein bzw. anderen Vereinen generell in der Prävention und auch im Nachgang solcher Vorfälle wünschen?

Cosima: Ich bin dem Club auf jeden Fall sehr dankbar für die Unterstützung, die mir jetzt entgegengebracht wird und es ist auch ein wirklich wichtiges Thema, was nicht nur in Fußballstadien, sondern auch an anderen Orten, an denen sich viele Menschen versammeln, immer passieren kann. Vielleicht kann durch Kampagnen oder auch Durchsagen während des Spiels oder in der Halbzeit noch einmal darauf aufmerksam gemacht werden, nicht wegzuschauen und Zivilcourage zu zeigen. Ich finde es sehr wichtig, wenn dieses Thema in Zukunft von Vereinen noch intensiver aufgearbeitet wird. Bei einem Fußballspiel im Stadion ist natürlich nicht der erste oder zweite Gedanke im Hinterkopf eines jeden Fans, dass andere Menschen vielleicht gerade belästigt werden könnten. Deshalb finde ich es wichtig, dass so etwas an die Öffentlichkeit gebracht wird, dass das leider immer wieder passiert, passieren kann, dass man da hinschauen muss, und dass man sich dann auch trauen kann, einzugreifen. Es sind im Stadion Ordner zugegen, es gibt die Stadionwache und jeden einzelnen Zuschauer, der potenziell helfen kann, sexuelle Übergriffe zu verhindern bzw. den Täter direkt zu fassen.

fcn.de: Vielen Dank für das Interview und vor allem den Mut, den du im Umgang mit diesem Thema zeigst. Wir können nur noch einmal wiederholen: Der 1. FC Nürnberg steht fest an deiner Seite, Cosima.


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