Business Montag, 27.06.2022

Gegen das Vergessen: Zwei Stolpersteine für Jenö Konrad in Nürnberg verlegt

In Gedenken an unseren ehemaligen jüdischen Trainer Jenö Konrad (1930-1932) wurden am Sonntag, 26.06.2022, vor dem Max-Morlock-Stadion und seinem früheren Wohnhaus in der Bingstraße 9, von Künstler Gunter Demnig zwei Stolpersteine verlegt. Tochter Evelyn Konrad richtete rührende Grußworte aus New York an den Club.

In einer feierlichen Zeremonie vor dem Max-Morlock-Stadion mit über 150 Gästen wurden im Rahmen der Stolpersteinverlegung die Biografie und das Leben von Jenö Konrad gewürdigt. Auf Einladung des Club und Maccabi Nürnberg sowie unter tatkräftiger Mitwirkung von Ultras Nürnberg 1994 erlebten ehemalige Meisterspieler des FCN, Club-Fans, Nürnberg Oberbürgermeister Marcus König, Stadträte und Geschichtsinteressierte eine Gedenkveranstaltung mit berührenden Momenten.

Der ehemalige Club-Trainer war aufgrund antisemitischer Hetze durch Julius Streichers „Der Stürmer“ mit seiner Familie in einer Augustnacht 1932 aus Deutschland geflohen. Es ist ausschließlich den engagierten Schülerinnen und Schülern der neunten Klasse des Sonderpädagogischen Förderzentrums Jean-Paul-Platz und Lehrerin Marika Schönfeld zu verdanken, dass die Gedenk-Aktion in dieser Form stattfinden konnte. Im Zuge des Jenö-Konrad-Cups hatten sie den ‚Anstoßstein‘ dazu geliefert. Bevor Künstler Gunter Demnig den Stolperstein zu Ehren von Jenö Konrad vor dem Max-Morlock-Stadion einließ, legte er am Sonntagmorgen bereits vor seinem ehemaligen Wohnhaus in der Bingstraße 9 Hand an, um einen ersten Stolperstein zu verlegen. Ein emotionaler Moment für Marika Schönfeld und ihre Schülerinnen und Schüler: „Wir waren sehr ergriffen. Dass unser Projekt solche Kreise zieht, hätten wir niemals für möglich gehalten“, erzählt die Lehrerin.

Niels Rossow, Kaufmännischer Vorstand des 1. FC Nürnberg, ist stolz auf die Entwicklung des Schülerprojekts und das vielfältige Engagement des Club gegen Antisemitismus, Rassismus und Diskriminierungen jeglicher Art: „Wir betreiben mit dem Jenö Konrad-Cup zusammen mit Schülerinnen und Schülern echte Erinnerungskultur. Und das uns genau dieser Jenö Konrad-Cup heute hier zusammenführt, um unseren ersten Stolperstein zu verlegen, macht uns sehr stolz.“

Proaktiver Umgang des 1. FC Nürnberg mit seiner Rolle im Nationalsozialismus

Nürnbergs Oberbürgermeister Marcus König stimmte in seinem Grußwort in diesen Kanon ein: „Dass heute so eine große Anzahl an Menschen gekommen ist, zeigt, dass wir hinter unserer Erinnerungskultur stehen und einen großen Wert darauflegen. Und so sieht man, dass dieser Verein, den wir in Nürnberg haben, etwas Einzigartiges ist. Hier wird niemand vergessen.“

Katharina Fritsch, Leiterin Community & Membership beim 1. FC Nürnberg, hatte den Jenö Konrad-Cup mit Club-Historiker Bernd Siegler ins Leben gerufen und hat den proaktiven Umgang des Club mit seiner eigenen Vereinsgeschichte sehr geprägt: „Die vergleichsweise sehr frühe Aufarbeitung der eigenen Vereinsgeschichte im Kontext des Nationalsozialismus durch den Club war alles andere als selbstverständlich. Es dauerte bei Institutionen aller Art in Deutschland sehr lange, die Vergangenheit in der NS-Zeit aufzuarbeiten. Und dass der Club einer der ersten Fußballvereine in Deutschland war, der seine Geschichte zwischen 1933 und 1945 aufgearbeitet hatte, erfüllt uns mit Stolz."

"Als wir 2012 die Choreografie für Jenö Konrad in der Nordkurve beim Spiel gegen den FC Bayern München gemacht haben, war uns nicht klar, wie weit dieser von uns angestoßene Ball fliegen würde. Uns war sicherlich klar, dass wir ein Thema aufgreifen, das aufgrund des Spruches, den uns Jenö Konrad hinterlassen hatte, sehr stark ist. Trotzdem konnten auch wir diese tolle Entwicklung nicht absehen. Wir möchten den 1. FC Nürnberg dafür loben, dass er diesen Ball par excellence angenommen hat“, sagt Christian Mössner, Ultras Nürnberg 1994. UN sind Pate des Steins vor dem Max-Morlock-Stadion.

Anatoli Djanatliev, Vorstandschef von Maccabi Nürnberg, hatte die Veranstaltung mit einem Grußwort eröffnet und war voll des Lobes über den 1. FC Nürnberg, der aus seiner Sicht im Bericht CSR auf Champions League-Niveau spiele. Dennoch appellierte er an alle, weiter wachsam zu sein: „An diesem Stolperstein werden Spiel für Spiel tausende Fans vorbeilaufen. Lasst uns gemeinsam die Erinnerung wachhalten, aber auch das Hier und Jetzt nicht vergessen, denn Antisemitismus ist heute präsenter denn je."

Bereits über 92.000 Stolpersteine verlegt

Um auf die Schicksale von Verfolgten, Ermordeten, Deportierten und Vertriebenen in der NS-Zeit zwischen 1933 und 1945 aufmerksam zu machen, hat Künstler Gunter Demnig bereits über 92.000 Stolpersteine in 29 Ländern auf der Welt verlegt. Mit der Verlegung der beiden Stolpersteine zu Ehren von Jenö Konrad, der bereits 1932 geflohen war, machte Demnig eine Ausnahme: „Es ist immer wieder ganz toll, wenn gerade Schülerinnen und Schüler sich bei diesem Thema engagieren. Das hat mich am Projekt der Förderschule Jean-Paul-Platz sehr berührt. Ein solches Einzelschicksal wie jenes von Jenö zeigt das Besondere an jeder einzelnen Biografie, auf die aufmerksam gemacht wird. Das war nicht irgendwo, in irgendeiner anderen Großstadt, sondern das war wirklich bei uns, um die Ecke.“

Emotionale Grußworte von Tochter Evelyn Konrad

Ganz still wurde es auf der Gedenkveranstaltung, als die emotionalen Grußworte der 93-jährigen Tochter Jenö Konrads, Evelyn Konrad, verlesen werden. Sie kündigte bereits an, im nächsten Jahr den Club in Nürnberg besuchen zu wollen und schrieb dem 1. FC Nürnberg:

„Es ist rührend für mich, und für meine vier Kinder, wie liebevoll der 1. FCN alljährlich mit dem Schulprojekt „Jenö Konrad Cup – Fußball trifft auf Geschichte“ an meinen Vati gedenkt. Zu wissen, dass mit dem heutigen Tag vor dem Nürnberger Stadion und vor unserer damaligen Wohnung in der Bingstraße ein Stolperstein auf das Schicksal meines Vaters hinweist, geht uns allen sehr nahe.

Es tut mir und meinen Söhnen mit ihren Familien unheimlich leid, dass wir bei diesem feierlichen Akt nicht dabei sein können. Ich löse gerade meinen Landsitz in Southampton auf und ziehe ganz nach New York. Da sind viele Dinge zu tun, die meine Anwesenheit in New York erfordern. Aber ich darf Ihnen versichern, wir alle sind mit unserem ganzen Herzen bei Ihnen. Und ich weiß ganz bestimmt, dass ich nächstes Jahr noch einmal nach Nürnberg kommen werden.

Was meinen Vati am meisten gefreut hätte, ist, dass es Schülerinnen und Schüler waren, die diese Idee für die Stolpersteine hatten und dies auch in die Tat umgesetzt haben. Das ist gewissermaßen das passendste, was passieren konnte, denn Vati hatte sich immer für die Jugend eingesetzt und interessiert.

Mein Vati war ein unheimlich feiner Mensch. Er hatte Kinder und Jugendliche ganz besonders gern und hatte sehr viel Geduld mit ihnen. Auch mit mir: Er hat mir immer das Vertrauen gegeben, dass ich keine Angst vor Niederlagen haben soll. Niederlagen gehören zum Erfolg dazu, von Niederlagen könne man viel lernen, hat er immer gesagt.

Ich bin jetzt 93 Jahre alt und sage, nur noch sechseinhalb Jahre bis ich 100 bin. Damals vor 90 Jahren war ich noch zu jung, um mich selbst zu erinnern. Aus Erzählungen weiß ich aber, dass sich meine Eltern in Nürnberg sehr wohl gefühlt haben. Sie haben oft und liebevoll von diesen zwei Jahren gesprochen, die wir hier waren. Es gibt wenig, an das ich mich noch erinnere, aber den Abschied weiß ich noch genau. Am Bahnhof stand der Club-Vorstand mit Rosen für Mutti. Die wollten nicht, dass wir gehen. Sie waren sehr anständig und haben sich immer vornehm benommen.

Mein Vati hat immer betont, dass er nach dem Hetzartikel nicht davongelaufen ist. Ich bin nicht davongelaufen, ich bin weggegangen, hat er immer gesagt. Im August 1932 hatte er genau gesehen und gespürt, wie sich die Dinge ein paar Monate später in Deutschland würden entwickeln werden. Dieses feine Gespür für aufkeimenden und wachsenden Antisemitismus hatte ihm und letztlich auch mir und meiner Mutti das Leben gerettet.

Ich möchte den heute Anwesenden sein Lebensmotto mit auf den Weg geben: Immer freudig in die Zukunft schauen, und ohne Angst und ohne Furcht leben. Mein Vati war stets total positiv. Er hatte immer Pläne für die Zukunft gemacht und diese Pläne auch durchgeführt. Das ist es, was ich von ihm geerbt habe. Talent habe ich keines, aber diese Lebensanschauung.

Ich bin unerhört dankbar, für das, was hier vom 1. FC Nürnberg für die Menschenrechte gemacht wurde und weiter gemacht wird. Machen Sie weiter so, damit sich so etwas wie mit meinem Vati nicht wiederholen wird.“


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