Business Donnerstag, 23.06.2022

Ein Stein für Jenö Konrad

Foto: fcn.de

Am kommenden Sonntag, 26. Juni 2022, um 11 Uhr findet vor dem Max-Morlock-Stadion die feierliche Stolpersteinverlegung in Gedenken an den ehemaligen jüdischen Club-Trainer Jenö Konrad (1930-1932) statt. Es ist eine ganz besondere Ehre. Denn Künstler Gunter Demnig verlegt im Rahmen seines Kunstprojekts für gewöhnlich ausschließlich Stolpersteine, um auf das Schicksal von verfolgten Menschen im Nationalsozialismus zwischen den Jahren 1933 und 1945 aufmerksam zu machen. fcn.de beleuchtet die Entstehungsgeschichte hinter den beiden Stolpersteinen zu Ehren von Konrad, der bereits 1932 aufgrund antisemitischer Hetze durch Julius Streichers „Der Stürmer“ mit seiner Familie in einer Augustnacht aus Deutschland floh und den Club schweren Herzens zurücklassen musste.

Als Förderlehrerin Marika Schönfeld und ihre Kollegen anfangen, sich gemeinsam mit den Schülerinnen und Schülern der Klassen 9a und 9b des Sonderpädagogischen Förderzentrums Jean-Paul-Platz im Rahmen des Jenö Konrad-Cups 2021 mit der Biografie des ehemaligen Club-Trainers Jenö Konrad und dem Thema Antisemitismus auseinander zu setzen, kennen die meisten Schüler:innen das Kunstprojekt „Stolpersteine“ von Gunter Demnig noch nicht.

„Wir haben uns im Geschichtsunterricht mit dem Dritten Reich und dem Holocaust beschäftigt“, erzählt Schüler Leon. „Dabei sind wir auf das Thema Stolpersteine gestoßen“, fügt seine Mitschülerin Laura hinzu. „Unsere Klassenlehrer haben uns im Zuge dessen davon erzählt, dass jeder die Stolpersteine putzen darf. Mit unserer Putzaktion der Nürnberger Stolpersteine haben wir uns dem Thema Stolpersteine weiter genähert“, so Klassenkameradin Alexandra. „So haben wir herausgefunden, dass einer der Gründe, die Stolpersteine am Boden zu verlegen ist, sich bücken bzw. in die Knie gehen zu müssen, um die Inschrift zu lesen. Das ist ein Zeichen der Demut vor dem Schicksal desjenigen Menschen und hat uns sehr bewegt“, sagt Schüler Flori rückblickend.

Vergebliche Suche nach Jenö Konrads Stolperstein

Doch den Schülerinnen und Schülern fällt rasch auf, dass ein ganz bestimmter Stolperstein noch nicht in Nürnberg verlegt wurde. Förderlehrerin Marika Schönfeld erzählt: „Mithilfe von Club-Historiker Bernd Siegler haben wir recherchiert und sein ehemaliges Wohnhaus in der Bingstraße 9 ausfindig machen können. Wir haben mit den Schüler:innen dort, in der Stadt, und vor dem Stadion des 1. FC Nürnberg nach seinem Stolperstein gesucht, jedoch keinen gefunden. Jenö Konrad war Jude, in Nürnberg sehr bekannt, und zu einer Zeit FCN-Trainer, als der Club wortwörtlich „der Erste“ war. Die Kinder haben deshalb recherchiert, warum Jenö Konrad noch keinen Stolperstein hatte. Man fand heraus, dass der Künstler Gunter Demnig für die Stolpersteine einen begrenzten Zeitraum festgelegt hat. Und zwar nur für Opfer des NS-Regimes zwischen 1933 und 1945. Dadurch war uns klar, dass es keinen Stolperstein für Jenö Konrad geben könnte, da Konrad Nürnberg bereits 1932 verließ.“

„Kein Stein, keine Gedenktafel, keine Erinnerung. Als wäre er nie dagewesen“, meint Leon. Mitschülerin Alexandra fügt hinzu „Deshalb unsere Idee: Wir machen selbst einen Stein. Einen großen zum darüber Stolpern und Anstoßen: ‚Der Stein des Anstoßes‘.“ Marika Schönfeld erzählt uns lachend, wie daraus die erste Idee entstand, den Stein auf den Anstoßpunkt im Max-Morlock-Stadion zu legen: „Das war natürlich nicht möglich und das hatten wir auch gar nicht angefragt. Mithilfe von Steinmetz Thomas Igl aus Langenzenn haben wir den Stein aus Granit dann hergestellt.“ Schülerin Laura erzählt stolz: „Die 9a und die 9b haben die Inschrift entworfen und die Schriftzeichen auf dem Stein ausgemalt. Natürlich durfte der berühmte Satz Konrads ‚Der Club war der Erste und muss der Erste werden‘ nicht fehlen.“

Statt Gedenktafel zwei Stolpersteine für Jenö Konrad

Auch am Wohnhaus in der Bingstraße 9 sollte ein Hinweis auf den berühmten Bewohner nicht fehlen. Die Idee der Besitzer, eine kleine Gedenktafel dort anzubringen, veranlasste Frau Schönfeld zu einem Telefonat mit der Stolpersteinstelle des Künstlers. Das Glück wollte es, dass Gunter Demnig persönlich am Telefon war. Gedenktafeln mache er leider gar nicht, meint der Künstler. Aber ihn interessiere das Projekt der Schule. So berichtet Marika Schönfeld von der Entwicklung des  Schülersteins, der wirklich gewichtig ist. „Ein richtiger, schwerer Stein, ein Anstoßstein“, sagt die Lehrerin über den Stein, der jetzt neben dem Eingang zur Geschäftsstelle liegt.

Gunter Demnig lacht im Telefonat herzhaft über diese Idee und sagt kurzerhand, dass er eine Ausnahme vom festgelegten Zeitraum machen würde. Jenö Konrad bekomme von ihm zwei Stolpersteine: Einen Stein vor seinem ehemaligen Wohnhaus und einen anderen vor dem Max-Morlock-Stadion. „Ich hatte damit niemals gerechnet und war überwältigt. Jenö Konrad sollte tatsächlich echte Stolpersteine bekommen! Und nun werden diese von Gunter Demnig am Sonntag verlegt“, strahlt die glückliche Pädagogin.

Künstler Demnig mit seltener Ausnahme

Den Künstler Gunter Demnig bewegt an Jenö Konrads Biografie insbesondere, dass er mit seinem Talent damals in Deutschland noch viel mehr hätte erreichen können. „Der Antisemitismus war bereits 1932 doch schon sehr stark ausgeprägt und gerade bekannte Persönlichkeiten wie Jenö Konrad waren besonders betroffen. Er hat schnell gemerkt, dass er als Jude keine Chance mehr in Deutschland haben würde. Der Umzug mit seiner Familie nach Wien glich doch mehr einer Flucht. Und die Familie zu retten, war sicher ein Grund, Deutschland zu verlassen“, so Demnig.

Nur sehr selten macht Demnig bei der Verlegung von Stolpersteinen eine Ausnahme vom offiziellen zeitlichen Rahmen des Kunstprojekts (1933-1945). „Es gibt auch Beispiele für Schicksale nach der Befreiung vom Nationalsozialismus durch die Alliierten. Diese Menschen haben die Befreiung noch erlebt, sind tragischerweise aber an den Folgen der Misshandlungen letztlich verstorben - also doch noch von den Nazis ermordet worden“, sagt Demnig.

Nachhaltiges Projekt beim Club und am Förderzentrum Jean-Paul-Platz

Der jährliche Jenö Konrad-Cup des 1. FC Nürnberg und des deutsch-jüdischen Sportvereins Maccabi Nürnberg ist ein wichtiger Bestandteil der kritischen Auseinandersetzung mit dem Thema Antisemitismus. Seit vielen Jahren setzt sich der 1. FC Nürnberg aktiv gegen Antisemitismus ein und reist mit Fans in NS-Gedenkstätten, schult Nachwuchsspieler und bietet für Anhänger Lesungen, Workshops sowie Führungen mit Club-Bezug über das Reichsparteitagsgelände an.

Auch die Schülerinnen und Schüler der Förderschule Jean-Paul-Platz, die mit ihrem ‚Stein für Jenö‘ im letzten Jahr den Jenö Konrad-Cup gewannen, setzen sich jedes Jahr mit dem Thema kritisch auseinander: „Das Projekt ist an unserer Schule nachhaltig“, berichtet Lehrerin Marika Schönfeld. „Auch in diesem Jahr nehmen wir wieder am Jenö Konrad-Cup teil. Unsere Klassen gehen immer wieder in die Stadt, um Stolpersteine zu putzen und wir sensibilisieren all unsere Schüler:innen im Unterricht für dieses Thema. Es ist aber wunderbar zu sehen, was das Projekt bei den Schüler:innen bewirkt hat. Unsere Kinder kommen zu einer großen Mehrheit aus einem sozial schwachen Umfeld, und stehen eher am Rande der Gesellschaft. Durch dieses Projekt und dessen Entwicklung haben die Kinder ein unglaubliches Selbstbewusstsein entwickelt. Es hat den Kindern großen Spaß gemacht, und sie haben sich intensiv mit dem Thema Antisemitismus auseinandergesetzt.“

Zur Stolpersteinverlegung für Jenö Konrad und einer kleinen Feier, die rund um die Veranstaltung geplant ist, sind alle Cluberer und Geschichtsinteressierte herzlich eingeladen. Für Essen und Getränke auf Spendenbasis wird ebenfalls gesorgt, Parkplätze stehen auf dem Parkplatz S5 zur Verfügung. Beginn der feierlichen Verlegung vor dem Max-Morlock-Stadion ist um 11 Uhr. Weitere Infos zum Ablauf und Programm im Rahmen der Stolpersteinverlegung findet ihr hier.


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