"Wie, 75?"

Feiert am Mittwoch ein Jubiläum auf der Trainerbank: Hans Meyer*

Nürnberg - Vor mehr als 36 Jahren, am 15. September 1971, saß er als Cheftrainer des FC Carl Zeiss Jena erstmals im Europapokal auf der Bank. Am Mittwoch nun feiert Hans Meyer (65) ein Jubiläum: Die UEFA-Pokal-Partie des 1. FC Nürnberg gegen AZ Alkmaar ist sein 75. Europapokalspiel. Das Fachmagazin kicker sprach mit Meyer; das Gespräch hat auch das ClubMagazin, das am Mittwoch erscheint, aufgezeichnet.


"Da stimmt doch was nicht mit eurer Statistik", sagt Hans Meyer und rechnet vor: "Alkmaar ist mein fünftes Europapokalspiel mit dem Club. Sechs habe ich mit Enschede bestritten, acht mit Chemnitz. Somit würden 56 Spiele mit Jena bleiben." Das aber könne nicht sein, "weil ein Finale dabei war. Es muss also eine ungerade Zahl von Spielen gewesen sein". Eigentlich logisch - und doch nicht richtig, wie ihm schließlich doch noch einfällt: Ich bin ja im Oktober 1983 vor dem Rückspiel gegen Sparta Rotterdam entlassen worden! Alle Zweifel ausgeräumt: Am Mittwoch sitzt Hans Meyer zum 75. Mal in einem Europapokalspiel als Cheftrainer auf der Bank.


Das Europapokal-Gefühl: Für mich als Trainer ist es nicht anders als für die Spieler: Es ist einfach ein ganz besonderes, ein fantastisches Gefühl, diese Abende zu erleben. So war's schon damals, wenn wir mit dem Bus an den Kernbergen vorbei nach Jena hinein gefahren sind, ins schon Wochen zuvor ausverkaufte Stadion, in dem die Menschen sogar bis auf die Bäume hinauf saßen, und so wird's auch am Mittwoch gegen Alkmaar sein..."

Der größte Sieg: "Im Europapokal der Pokalsieger 1980/81 trafen wir in der ersten Runde auf den AS Rom. Das Hinspiel in Italien verloren wir nach katastrophaler Schiedsrichterleistung mit 0:3. Zwei klare Elfmeter nach Fouls an meinem jetzigen Co-Trainer Jürgen Raab hat uns ein Mann, den ich nicht mehr nennen will (Herr Dondine aus Bulgarien, die Red.) verwehrt... Wir waren eigentlich schon ausgeschieden... und vor dem Rückspiel sagte ich zur Mannschaft: "Tut mir nur einen Gefallen und versucht euch, ein bisschen zu rehabilitieren." Ich hoffte auf einen 1:0- oder 2:1-Sieg. Dann gewannen wir im Ernst-Abbe-Sportfeld sensationell mit 4:0 und schafften schließlich sogar den Einzug ins Endspiel."

Die bitterste Niederlage: "Im Finale jener Europapokalsaison gegen Dynamo Tiflis... Im Finale gingen wir durch Gerhard Hoppe in der 63. Minute in Führung und hatten diese halbe russische Nationalelf am Rand der Niederlage, als wir plötzlich begannen, wie die Europameister zu spielen: Wir hielten uns nur noch in der gegnerischen Hälfte auf und fingen zwei Kontertore ein, das zweite in der 87. Minute, so dass wir nicht mehr reagieren konnten. Ich habe diese Niederlage inzwischen irgendwie überwunden, und doch drückt sie mich noch immer, denn ich dachte mir sofort: Diese ganz, ganz große Chance, etwas Über-Sensationelles zu leisten, die kommt wohl nie mehr wieder. Aber damals wusste ich ja noch nicht, dass ich einmal den 1. FC Nürnberg trainieren würde". (lacht)

Das kurioseste Tor: "In der dritten Runde jener Erfolgssaison trafen wir auf Newport County, eine walisische Elf aus der dritten englischen Liga. Nach einem 2:2 zu Hause mussten wir nach Newport und kamen praktisch 90 Minuten lang nicht vor deren Tor. Die Waliser trafen drei-, viermal die Latte, und unser Torhüter Hans-Ulrich Grapenthin hatte einen dieser Tage erwischt, an denen er sich blind ins Tor stellen und die Hand ausfahren konnte und der Ball dann dagegenprallte. Nach einer halben Stunde erhielt Lothar Kurbjuweit im Mittelkreis den Ball, drei Gegner stürmten auf ihn zu, er bekam's mit der Angst zu tun und zog ab. Eine richtige Krücke, aber der Ball landete im Tor und wir siegten 1:0. An diesem Abend war der liebe Gott ein Zeissianer."

Das größte Abenteuer: "Das hab ich im Viertelfinale des UEFA-Pokals 1977/78 beim SEC Bastia erlebt. Am Tag zuvor hatten wir in Korsika schon auf einem Parkplatz trainieren müssen, und dann das Spiel: Ein verrücktes, enges Stadion für nur 10.000 Zuschauer wie in der Bezirksliga, die Leute ganz nah dran am Spielfeld, eine bedrohliche Atmosphäre. Vor dem Anpfiff schossen sie Raketen ab, die Geschosse schwirrten in Kopfhöhe an uns vorbei und ich dachte mir: "Wenn da jetzt einer mit der Pistole auf dich schießt, merkt's auch keiner." Wir verloren 2:7 und schieden aus."

Die schönste Stadt: "Wir haben ja damals vor jeder Auslosung die Daumen für ein Spiel im westlichen Ausland gedrückt, wegen der zehn Westmark Tagegeld, mit denen wir die Verwandtschaft und die Kinder glücklich machen konnten (lacht). Oft hatten wir richtig Glück, wir konnten nach Rom, Lissabon, Istanbul, Madrid und Valencia fahren. Vor einem Spiel in Leeds haben wir in London übernachtet, zur Spielbeobachtung war ich zwei Tage lang in Reykjavik. Aber als Stadt mit dem meisten Flair und einer ganz besonderen Anziehungskraft hab ich Budapest empfunden."

Das lustigste Erlebnis: "Sie meinen Geschichten wie die von meinem Spieler, der praktisch ohne Westgeld im Hafenviertel von Izmir ein Mädel aufgegabelt hat? Das war wirklich lustig - aber doch nichts für die kicker-Leser, oder?"

Aufgezeichnet von Harald Kaiser

* © www.bayernpress.de

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